Wie ich wieder (Romane) lesen lernte
Ich war eigentlich noch nie so ein richtiger Bücherwurm. Klar hatte ich in meiner Kindheit & Jugend auch ein paar altersentsprechende Bücher gelesen. Ich erinnere mich auch an eine Phase, in der ich mit dem Gedanken spielte Anwalt zu werden und mich die Bücher von John Grisham extrem faszinierten (oder war es andersrum?). Aber kein Vergleich mit Michaela, die vor ihrem 18. Geburtstag schon sämtliche Shakespeare Werke im Original gelesen hatte.
Lieber verbrachte ich meine Freizeit mit TKKG Hörspielen, Gameboy, Comics und natürlich Sport. Sowohl in meiner Schulzeit als auch im Studium „musste“ ich schließlich schon genug Bücher lesen. Und während meiner ersten Berufsjahre hatte ich mich, wie viele meiner Kollegen, auf das Überangebot an Selbsthilfebüchern und Business Ratgebern gestürzt. Man will ja schließlich „vorankommen“.
Inzwischen schätze ich wieder jede Buchsparte. Aber mir wurde zunehmend klar, wie viel Überschneidungen es gibt und dass gute Romane mehr sind als Zeitvertreib und mehr Weisheiten und Erkenntnisse bieten als mancher „Selbsthilfe Ratgeber“.
So gibt es z.B. Regale voller Bücher über Selbsterkenntnis, Hermann Hesse schafft es in „Siddhartha“ aber auf vergleichsweise wenigen Seiten, eine Geschichte über diesen beschwerlichen Weg zu erschaffen, mit der man sich voll identifizieren kann.
Also ja, ich selbst „lerne“ durch Romanen manchmal mehr als in Selbsthilfe Ratgebern und vor allem: das Gelernte bleibt auch nach langer Zeit noch bei mir. Warum ist das so? Es liegt mit Sicherheit daran dass Autoren von Selbsthilfe Ratgebern oft nicht das gleiche Sprachgefühl mitbringen. Sie sind eher rational / pragmatisch gehalten, aber rühren innerlich nichts beim Leser an. Romane hingegen lösen Emotionen aus und erst über Emotionen beginnt in uns innerliche Verwandlung. Deshalb klingt ein Roman oft noch so lange in uns nach. Sprache ist wichtig und Sprache kommt in Selbsthilfe Ratgebern oft zu kurz.
Dazu hinterlassen Ratgeber oft den schalen Beigeschmack „nicht genug zu sein“. Du kannst noch besser verkaufen, du kannst noch sportlicher sein, du kannst länger fasten oder mehr arbeiten. Wenn man dann noch in den Strudel gerät beim Lesen sogar „effizient“ sein zu wollen (es gibt ja so viele Bücher und so wenig Zeit) dann landet man (wie ich damals) bei Hörbüchern auf doppelter Geschwindigkeit und getAbstract-Zusammenfassungen von den wichtigen Business-Beststellern. Und davon gibt es seehhhhhhr viele. Umgesetzt ist dann übrigens noch lange nichts…
Und trotzdem können auch Business Bücher eine Menge bewirken, wenn sie einen zum richtigen Zeitpunkt finden und dann eben auch die richtigen Emotionen anrühren. Ohne die 4-Stunden-Woche von Tim Ferriss hätte ich möglicherweise nie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt.
Ich kritisiere somit nicht die Fach-und Sachbücher, mehr schreibe ich eine Liebeserklärung an gute Geschichten. Denn seit einigen Jahren habe ich (Dank Michaela und der Freiheit, meine Zeit selber einteilen zu können) die Liebe zu Romanen wiederentdeckt. Denn bei einem guten Roman genießt man jede Seite und ist am Schluss sogar etwas enttäuscht, wenn die Geschichte zu Ende geht.
Nicht selten ging es mir so, dass ich ein gutes Buch gelesen und danach viele andere Büchern des Autors gekauft habe. Endlich hatte ich mal wieder einen Autor gefunden, der genau den Ton traf und den Spannungsbogen entwarf der mich ansprach. Habe ich dann alle diese Bücher ausgelesen, folgt erst mal eine gewisse Leere. Was lese ich jetzt? Oft vergehen dann wieder Wochen oder Monate in denen meine Netflix-Bildschirmzeit ansteigt bevor ich mich wieder auf ein gutes Buch einlassen kann.
Aber es ist weniger der Mangel an guten Büchern auf dieser Welt. Sondern eher die eigene Muse, sich auf diese Geschichten einzulassen. Oft bin ich selber so „busy“, dass ich gar nicht die Ruhe finde um in die Geschichten richtig einzusteigen. Dann lese ich mal hier 5 Seiten, dann 10 dort. Na klar kommt da keine Spannung oder Identifikation mit der Geschichte auf. Wenn ich es aber mal schaffe mich einzulassen, bereue ich es selten. Denn in Romanen steckt oft so viel Weisheit. Nicht verpackt in plumpe Lebensregeln, sondern eingebettet in lebendige Geschichten von Charakteren mit denen man sich identifiziert und und in denen man Einsichten findet, die man auf sein eigenes Leben anwenden kann.
Wenn ich lese, schalte ich von meinem Alltag ab ohne dass der Kopf „aus“ geht (wie beim Fernsehen). Oft fühle ich mich danach wieder kreativer und „aufgetankt“. Ich möchte also alle, die in letzter Zeit eher weniger Romane gelesen haben mal wieder dazu inspirieren dies zu tun. Dafür liste ich im folgenden einfach mal meine Lieblingsromane aus den letzten Jahren auf.
Hermann Hesse - Siddharta
Robert Seethaler - Ein ganzes Leben
Benedict Wells - Vom Ende der Einsamkeit
Daniel Kehlmann - Die Vermessung der Welt
Irvin D. Yalom - Und Nietzsche weinte
Stephen King - Der Anschlag
Friedrich Dürrenmatt - die Physiker
Chris Kraus - Das kalte Blut
Paolo Cognetti - Acht Berge
Ernest Hemingway - Der alte Mann und das Meer
Marc Elsberg - Blackout
Astrid Rosenfeld - Adams Erbe
Viele von diesen Büchern haben mir gute Freunde vorgeschlagen. Empfiehlt mir jemand ein Buch mit dem ich mich auch sonst gut verstehe und gute Gespräche führen kann, ist es selten ein Reinfall.
Aber klar, ich lese nach wie vor auch Fachbücher - über Gesundheit, Meditation, gesellschaftliche Entwicklung oder Geschichte. Manchmal ist es angenehm, Fachbuch und Roman parallel zu lesen. Ich belohne mich dann oft mit Lesezeit im Roman, nachdem ich wieder ein Kapitel im Fachbuch „geschafft“ habe.
Deswegen auch noch mal ein wenig Inspiration abseits der Romane.
3 interessante Sachbücher
Hans Rosling - Factfulness
Yuval Noah Harari - Homo Deus
Michael Pollan - How to change your mind
3 unterhaltsame Hörbücher
Marc Uwe Kling - Quality Land
Arnold Schwarzenegger - Total Recall
Jon Krakauer - Into Thin Air: A Personal Account of the Mt. Everest Disaster
Was sind deine Leseempfehlungen? Ich freue mich über weitere Inspiration!
PS: Nachdem wir als „Nomaden“ fast ausschließlich unseren Kindle nutzten, haben wir uns in unserem neuen Zuhause wieder mehr auf „echte“ Bücher eingelassen. Irgendwie macht es einfach noch mehr Spaß, die Seiten physisch umzublättern. Ich kann euch aber auch nicht sagen warum.