Warum ich meinen eigenen Ernährungstipps nicht glaube
Die meisten Leute kennen uns als DAS Paleo Pärchen. Seitdem wir Paleo360 starteten werden wir mit dieser Ernährungsweise identifiziert und die meisten denken wohl, dass wir stur diesem einen (von uns postuliertem) Konzept folgen.
Nur wir und unsere engen Freunde wissen, dass wir im Laufe der letzten 7 Jahre, in denen wir uns mit der Paleo Ernährung beschäftigen, schon eine gewisse Schwankungsbreite innerhalb der Grundidee von „Eat Real Food“ erlebt haben. Denn wie vieles im Leben läuft auch die Ernährungsweise in Phasen ab. Abhängig vom eigenen Gesundheitszustand, dem sozialen Umfeld, der Flexibilität im Alltag, der Reiselust, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der eigenen Ausgeglichenheit haben wir in den letzten Jahren u.a. folgende Phasen durchlaufen.
Phase 1: Ich zeige zum ersten mal Interesse an einer Ernährungsweise und stürze mich auf die Slow Carb Diät von Tim Ferriss. Qualität ist unwichtig, Hauptsache keine „schnellen“ Kohlenhydrate. Aber auch der ein oder andere Cheat-Day (Pizza, Pommes, Eis und Co) ist mal drin.
Phase 2: Heureka. Es klickt mit „Paleo“. Super einleuchtend und ich bin total begeistert. Aber auch hier geht es am Anfang weniger um die Qualität als um die Art von Lebensmitteln. Von regionalem Bio-Gemüse und Fleisch aus artgerechter Haltung sind wir noch weit entfernt. Zum Office Lunch verzichte ich auf das Brötchen und esse die Billig-Salami und die hartgekochten Eier von Aldi (würg).
Phase 3: Mit dem Start von Paleo360 verstehen wir die Idee hinter der Paleo Ernährung immer mehr und bauen sie auch für uns weiter aus. Wir kaufen immer mehr Bio und geben auch für die Fleischqualität deutlich mehr Geld aus als vorher. Avocado und Kokosöl sind unsere neuen Heilsbringer. Und ohne einen Frucht-Nuss-Riegel gehen wir nicht mehr aus dem Haus. Ach ja, Gluten ist der Teufel. Und Milch sowieso.
Phase 4: jetzt wird’s extrem. Immer mehr Podcasts, immer mehr Fachartikel. Und so viele Dinge die man noch optimieren kann. Ich probiere mich am intermittierendem Fasten (kein Frühstück), merke aber bald, dass es mir (in der damaligen Phase) eher schadet als nützt. Durch Michaelas Autoimmunerkrankung sind wir weiterhin auf der Suche und lassen uns schließlich auf das Autoimmunprotokoll (AIP) ein. 8 Monate lang (für Michaela) Paleo 2.0 (ohne Eier, Nüsse, Nachtschattengewächse, viele Obstsorten, Honig & KAFFEE!!!). Crazy! Eine wertvolle Erfahrung und vielleicht hat es auch geholfen den Darm und das Immunsystem zu stärken. Aber definitiv krass anstrengend. Ach ja, die Nahrungsergänzungsmittel (liebevoll „Supps“ genannt) dürfen wir natürlich nicht vergessen. Kurkuma, Collagen, Magnesium, Vitamine A-Z, und und und. Teilweise klingelt das Handy 5 mal täglich um uns an die Einnahme zu erinnern. Äh, geht’s noch? Manche Freunde denken wirklich wir haben die absolute Klatsche. Aber was tut man nicht alles, wenn man auf der Suche nach Gesundheit ist (und den Kinderwunsch im Kopf hat).
Phase 5: Das AIP ist vorbei und wir wollen uns wieder etwas normalisieren. Standard Paleo steht auf dem Programm und wir sind weniger verbissen. Der Drang im Restaurant nach Gluten in der Sauce zu fragen ist allerdings immer noch schwer zu unterdrücken. Litten oder leiden wir unter „Orthorexia nervosa“ (Essstörung)? Wir arbeiten (mit Erfolg) daran das Essen wieder mehr zu genießen. Die Robustheit gegen ernährungstechnische Fehltritte nimmt zu und wir erlauben uns in den folgenden Monaten / Jahren auch mal wieder den ein oder anderen Cheat (z.B. ein Gedicht von einer Zimtschnecke in Norwegen) ohne gleich in Panik zu verfallen.
Phase 6: Nach 4 Jahren Nomadentum finden wir unser neues Zuhause und auch unsere Ernährungsweise pendelt sich ein. Ich nenne es mal Paleo 80/20. Die Basis ist mehr denn je viel regionales Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch mit starkem Fokus auf Qualität und Nachhaltigkeit. Aber mittlerweile backen wir unser eigenes Sauerteigbrot (Roggen, Hafer & Buchweizen) und auch Quark und (Ziegen-) Käse landen häufiger in unsere Mägen. Unser Motto ist: So vielfältig wie möglich ernähren und Extreme vermeiden. Wir gehen entspannt essen und brauchen (fast) keine Extrawurst mehr, wenn uns Freunde zum Essen einladen. Es fühlt sich gut an und wir sind fit und gesund.
Es klingt fast so, als sei unsere Ernährungsreise zum Ende gekommen. Ich bin mir aber sicher, dass es auch in Zukunft wieder andere Phasen geben wird.
Was lernen wir daraus? Auch wenn wir zu gewissen Zeitpunkten noch so überzeugt von bestimmten Konzepten oder Ideen sind, dürfen wir nie vergessen, wie oft wir (oder die Generationen vor uns) diese in der Vergangenheit schon wieder über den Haufen geworfen haben.
Bestes Beispiel: gesättigte Fette. Unsere Großeltern aßen mit großer Lust Butter, Schmalz und Co. Klar, es schmeckt gut und macht satt. Dann wurden die ersten Stimmen laut, dass gesättigte Fette mit Herz-Kreislauf-Problemen assoziiert werden. Es folgte der Siegeszug von Halbfettmargarine und Magerquark. In den letzten Jahren wurden einige Studien widerlegt und das gesättigte Fett feierte einen Comeback in Form von Kokosöl, MCT-Öl und Co. Nur um kurz danach wieder am Pranger zu stehen.
Ich persönlich schaufelte mir seit Beginn der Paleo Ernährung haufenweise Kokosöl und Butter in den Kaffee. Ist ja gesund und das Energielevel ist super. Durch diverse (Gen)Tests habe ich aber herausgefunden, dass gesättigte Fette für mich persönlich vielleicht doch nicht soooo vorteilhaft sind. Reflektieren und Anpassen. Wie gesagt: Nichts Extremes mehr.
Die Erkenntnis: Eigentlich haben wir doch keine Ahnung. Der menschliche Körper und sein Stoffwechsel sind so komplex und vor allem individuell unterschiedlich, dass wir uns von allgemeinen Ernährungsempfehlungen fernhalten sollten.
Das einzige das unserer Meinung nach funktioniert, ist auf den eigenen Körper zu hören. Dafür muss man auch Dinge ausprobieren. Wenn ich seit 35 Jahren nur Brot, Nudeln und Co. essen würde hätte ich z.B. keine Ahnung, dass es mir ohne besser geht. Und um das herauszufinden ist das Paleo Konzept nach wie vor gut geeignet. Der Fokus auf echte Lebensmittel und der (vorübergehende) Verzicht auf Allergene kann helfen, die individuell optimale Ernährung zu finden.
Deshalb stehen wir auch weiterhin voll hinter Paleo360, denn damit inspirieren wir Menschen sich mit der eigenen Ernährung überhaupt einmal auseinander zu setzen, den eigenen Körper kennenzulernen und möglicherweise einen natürlicheren Weg einzuschlagen. Welche Erkenntnis dann daraus folgt bleibt jedem selber überlassen. Unsere Missionierungsphase ist vorbei.
Meine 3 Erkenntnisse aus dieser Ernährungsreise:
Wir sollten uns selber nicht zu ernst nehmen und auch mal locker lassen.
Jeder Mensch is(s)t unterschiedlich. Niemand sollte blind irgendwelchen Konzepten folgen.
Die größte Fähigkeit ist es, auf den eigenen Körper zu hören.
Was sind deine Erfahrungen? Bist du schon bei deiner „perfekten“ Ernährung angekommen? Wir freuen uns über Feedback und Input.